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Im Vorhof der Hölle


Einen Tag habe ich fast bis zu seiner Hälfte als Begleitperson im Wartebereich einer großen radiologischen Praxis verbracht. Frühzeitiges Erscheinen, eine Stunde vor dem eigentlichen Untersuchungstermin, war angesagt. Warum, blieb unklar. Vielleicht, um genug Zeit für das Ausfüllen der zahlreichen Fragebögen zu haben, deren richtige Beantwortung die Ärzte vor irgendwelchen Regressansprüchen schützen soll.Jeder der Neuankommenden musste sich dieser Prozedur unterziehen. 

Die Praxisräume sind modern steril eingerichtet. Das Auge des Wartenden findet nirgendwo länger Halt und bleibt an der Person der Mitwartenden hängen. Nur ab und zu huscht eine weiße Gestalt, Assistentin oder Arzt, vorbei, um hinter einer der vielen weißen Türen zu verschwinden. 

Die Wartenden beäugen sich also, mehr oder weniger heimlich, gegenseitig. Empfindungen und Gefühle bleiben nicht verborgen. Unruhe, Angst, Ungeduld. Das alte Ehepaar, beide hoch in den Achtzigern, sie schwerst gehbehindert, aber sehr ungeduldig und aggressiv dem Ehemann gegenüber, er abweisend und kühl, auch die räumliche Distanz zur Ehefrau suchend. Ein zweites Ehepaar, wenig jünger, aber sehr umeinander bekümmert. Die Frau von der eben beschriebenen Dame von oben bis unten mit neidischen Augen taxiert.

Jüngere Frauen und Männer mit sorgenvollen Gesichtern, die wohl hoffen, dass alles nicht so schlimm ist.

Bei Aufruf des eigenen Namens rafft der Patient eilig seine sieben Sachen zusammen, um in einer der vielen Kabinen zu verschwinden. Nach der meist lang andauernden Untersuchung strebt der Patient nun etwas erleichterter, weil ein Teil der Prozedur vorüber ist, wieder seinen Platz an. Aber, erneutes Warten auf die Diagnose. Die Unruhe wächst je länger das Warten dauert. Gesichter und Gesten verraten das. 

Endlich wird der eigene Namen wieder aufgerufen. Der Patient sitzt nun dem Arzt gegenüber, der in fast vollständiger Dunkelheit vor seinen zahlreichen Monitoren eine Diagnose fällen wird. Der Patient erwartet das Urteil. Geht der Daumen hoch oder runter? Ich beneide den Arzt nicht, der ein Urteil fällen muss manchmal über Leben und Tod! 

An den Gesichtern derjenigen, die das Zimmer der Diagnose wieder verlassen, lässt sich meist ablesen, wie das Urteil ausgefallen ist.

 

Das, was ich an diesem Tag erlebt habe, ist so ganz anders als das, was ansonsten in unserer Gesellschaft zählt- Gesundheit, strahlendes Lachen, Jung-Sein, Spaß Haben, dynamisch Sein. All das gab es in diesem Raum zwischen dem Hier und Hölle nicht, nur Sorge und Angst um die eigene kleine Existenz.

 


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